Azubi-Mangel? Schüler fallen durch Assessment-Center

Der Jahrgang steht kurz vor dem Abschluss. Im Juni werden Tom und andere Schüler die Schule mit der Fachhochschulreife verlassen; viele von ihnen suchen derzeit händeringend nach einem Ausbildungsplatz. Doch trotz vieler offener Lehrstellen finden sie keinen Ausbildungsbetrieb – reihenweise fallen die Schüler bei den Assessment-Centern durch! Sind die Anforderungen der Unternehmen zu hoch? Die Assessment-Center zu schwierig oder die Schüler zu schlecht?

Tom (19, Name geändert) bekam vor ein paar Wochen einen vernichtenden Brief vom Landkreis, bei dem er sich beworben hatte. Er hatte beim Assessment-Center extrem schlecht abgeschnitten. Das sei deprimierend gewesen, sagt er. Aber er war nicht der Einzige. Ein großer Teil seiner Klasse hat auch heute, im Februar 2023, noch keinen Ausbildungsplatz.

Laut Statista.com lag die Zahl der Azubis im Jahr 2021 bei insgesamt ca. 1,26 Millionen. Doch: Zahlreiche Betriebe finden keine Auszubildenden. Mehr als 63.000 Ausbildungsstellen blieben 2021 unbesetzt. Die Anzahl der angebotenen Plätze ist seit Jahren höher, als die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber. Laut des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sind ungeeignete Bewerbungen der Hauptgrund für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen – die Bewerber sollen nicht geeignet sein.

Doch warum? Sieben Assessment-Center zu stark aus? Machen sie aus guten Schülern, schlechte Azubis?

Assessment-Center (kurz: AC) sind Verfahren, die dazu dienen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Bewerbern oder bestehenden Mitarbeitern zu bewerten. Sie sind ein integraler Bestandteil des Personalwesens und werden oft verwendet, um die Eignung einer Person für eine bestimmte Stelle zu beurteilen.

Ein AC kann einen oder mehrere Tests, Übungen, Rollenspiele und andere Aktivitäten beinhalten, die die Fähigkeiten einer Person in Bereichen wie Kommunikation, Teamarbeit, Problemlösung und Bohrungsqualität beurteilen. Die Teilnehmer können in Gruppen oder einzeln arbeiten und die Übungen können von einem oder mehreren Beobachtern bewertet werden.

Das Ziel ist, eine objektive und umfassende Bewertung der Fähigkeiten einer Person zu erhalten, die auf verschiedenen Dimensionen basiert. Dies kann dazu beitragen, eine bessere Entscheidung über die Eignung einer Person für eine bestimmte Stelle zu treffen, indem das Potenzial für Leistung und Erfolg beurteilt wird.

Doch: die Fragen im Assessment-Center setzen oft Dinge voraus, die in der Schule häufig gar nicht unterrichtet wurden, sagt Tom.

“In den Allgemeinwissens-Teilen werden teilweise Dinge abgefragt, die ich im Schulunterricht nicht gelernt habe!”

Weiterhin: “Beispielsweise hatte ich zuletzt vor drei Jahren “Weltkunde” und darin ging es nur um Geschichts-Themen. Geographie? Fehlanzeige! Aber bei den Assessment-Centern gab es mehrfach Geographie-Fragen.”

Das ist weniger ein Versäumnis derjenigen, die diese Tests erstellen, als ein Versäumnis der Schulen. Würden die Schulen sich in der entscheidenden Phase, also spätestens in der 10ten Klasse, mehr mit dem Thema Assessment-Center auseinandersetzen, beispielsweise mit Trainings, würden auch mehr Schüler:innen die Tests bestehen. Was wiederum zu einer größeren Auswahl potentieller Auszubildenden führen kann …

Assessment-Center werden zunehmend von externen Unternehmen veranstaltet.

Nahezu alle Unternehmen lagern die ACs auf externe Unternehmen aus, die diese Prüfungen im Auftrag des jeweiligen Unternehmens durchführen. Der Kreis Stormarn nutzt für die Auswahl seiner zukünftigen Azubis, beispielsweise das Angebot der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V (dgp).

Die Aufgaben von deren AC-Tests reichen von Analogien, über Buchstabenreihen, Aufgaben zum Grundrechnen und Wortbedeutungen bis hin zu Zahlenreihen (Häufig auch Intelligenztest genannt). Einen besonderen Platz nimmt der Bereich “Kenntnisse” ein, erzählte Tom. Dabei gibt es Fragen aus den Gebieten Umweltkunde, Informatik, Geographie, Rechtschreibung und Interkulturellem Wissen.

Du willst dich selbst einmal in den Aufgaben des dgp stellen? Hier gibt es ein kurzes Trainingsprogramm: https://test.dgp.de/training

Ein wichtiger Punkt dieser vorgefertigten Tests ist, dass sie rein von Algorithmen ausgewertet werden, die auf Basis von Ergebnissen vorheriger Testpersonen aufbauen. Daraus wird die Referenz gebildet, wonach die aktuellen Bewerber bewertet werden (Anm. der Red: so wird es bei Intelligenztests auch gemacht). Der persönliche Eindruck, etwa in Vorstellungsgesprächen, wird erst in späteren Schritten miteinbezogen.

Das ist nach der Auffassung von Tom zu spät: “Besser wäre es, den Test mit einer Vorauswahl der Fächer zu starten, die man in der Schule hatte. Dort könnte man dann beispielsweise Geographie abwählen, weil man es in der Schule nicht hatte. Ich weiß, dass das ein Wunschdenken ist, aber das würde die Tests deutlich persönlicher machen. Und dann kann ein Personaler die Bewerber eventuell besser einschätzen und sehen, ob er oder sie zum Unternehmen passt, oder nicht.”

Probleme sind aus der Sicht von Tom auch folgende:

  • Es wird Zeitdruck ausgeübt: Während der Tests läuft immer ein Timer mit. Dadurch soll Stressresistenz der Bewerber geprüft werden- aber das hat tatsächlich oft negative Auswirkungen. Insbesondere bei Selbstseinschätzungs-Fragen, wo lediglich 30 Sekunden Zeit sind, um 6 Antworten zu lesen, zu überdenken und dann eine auszuwählen. Bei Situations-Beschreibungen verhält es sich ähnlich – Die Zeit fehlt.
  • Vergrößerungen sind häufig Fehlanzeige: Oft ist die Schriftgröße zu klein, hier wäre eine Vergrößerungsmöglichkeit sinnvoll und für sehbehinderte Menschen sogar erforderlich. Häufig bringt die normale Zoomfunktion des Browsers nicht den gewünschten Effekt und die Schrift bleibt trotzdem klein.

Deutlich wird: Es gibt aus Schülersicht noch Einiges zu tun, um Assessment-Center zu verbessern – auf AC-/Unternehmensseite, aber auch mit Blick auf die Schulen.


Tom, hier interviewter Schüler, hat jetzt woanders im öffentlichen Dienst einen Ausbildungsplatz gefunden. Dort gab es ein Bewerbungsverfahren, dass ihn zwar auch “geschlaucht”, aber letztendlich zu einem Ausbildungsvertrag geführt hat. Nun kann er hoffen, einen guten Weg zu gehen. Doch:

Viele seiner Klassenkameraden:innen suchen nach wie vor … sie fallen immer und immer wieder durch die AC-Tests. Vom Fachkräftemangel ist hier nichts zu spüren.

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