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Bildung und Digitalisierung sind kaum Thema im Wahlkampf

Im ersten TV-Duell am 9. Februar 2025 zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dominierten Migrationspolitik, Wirtschaft und der Ukraine-Krieg. Bildung, Digitalisierung oder der Umgang mit Fehl- und Desinformation – zentrale Herausforderungen unserer Zeit – blieben außen vor. Dabei ist Bildung der Schlüssel für soziale Teilhabe, Chancengleichheit und eine zukunftsfähige Gesellschaft. Doch Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall und veraltete Lehrpläne stehen dem entgegen.


Wie kann Bildung besser werden?

Dies fragten Schüler/-innen in einem Workshop, in dem sie u.a. erfuhren, wie ein Interview geführt wird. Das wollten sie gleich mal testen, und interviewten ihre Dozentin.

Redaktion: Frau Braun-Speck: Sie engagieren sich seit 2011 mit Ihrem Verein sii-talents im Bildungssystem. Mittlerweile haben Sie auch Bücher geschrieben und herausgebracht, sind Fortbildnerin für Lehrkräfte und einige der Projekte, die Sie entwickelt haben, wurden mit Preisen ausgezeichnet. Stimmt das so weit? 

Braun-Speck: Ja, stimmt. Zuletzt erhielten wir im Oktober 2024 die Auszeichnung für BNE-Akteure von der UNESCO. Generell greifen wir in unseren Workshops, digitalen Lernprojekten und Community-Büchern insbesondere Querschnitts-Themen, wie Digitalisierung / Medienkompetenz sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung auf. Aber auch das Thema Lehrkräftemangel! 

Redaktion: Wenn Sie bildungspolitisch aktiv wären: Was wären Ihre Ansätze? 

Braun-Speck: Nun: In jedem Fall mehr in Bildung investieren; in motivierende (und saubere) Lernumgebungen und -methoden. In Medienkompetenzentwicklung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Kreativitäts-Förderung. Außerdem würde ich basale Kompetenzen bei den Schwächeren fördern, und Begabungen bei den anderen Schüler/-innen. Denn nicht nur Überforderung erschwert das Lernen und das Entfalten der Persönlichkeit, sondern auch Stress und Unterforderung – und hochbegabte Minderleister*1 kann sich unser Land nicht leisten.

Wir brauchen wieder mehr Dichter und Denker. Deshalb müssen Kinder von klein auf die Chance haben, sich entwickeln zu können. Individuelles Fördern und Fordern ist das zentrale Stichwort. 


Bildung darf keine Frage des Geldes sein

Braun-Speck: Bildung darf nicht vom Geld abhängen. Deshalb beteiligte ich mich auch im Rahmen meiner Möglichkeiten, im Expert:innen-Forum Startchancen (ExSta). Ich war mehrmals bei den vierteljährlichen Konferenzen dabei – leider nur per Videokonferenz, weil ich mir die Reisen nach Berlin, oder wo das auch gerade stattfindet, nicht leisten kann. Die Arbeitszeit würde mir ja auch nicht bezahlt werden.

Redaktion: Also können Sie sich aus Geldgründen nicht so einbringen und entfalten, wie Sie es gerne würden? So wie viele Kinder und Jugendliche, deren Eltern sich Nachhilfe oder bestimmte Freizeit- und Bildungsangebote nicht leisten können? 

Braun-Speck: Ja, genau. Es betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene – besonders Alleinerziehende wie mich. Ohne genug Geld oder freie Zeit kann man viele Chancen nicht nutzen. 

Redaktion: Danke für Ihre ehrliche Antwort! Noch eine Frage: Wenn es so viele fehlende Lehrkräfte gibt – wie sollen Schüler dann individuell gefördert werden? 


Lehrkräftemangel muss und kann behoben werden

Braun-Speck: Laut dem Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung (2024) ist mehr Personal der dringendste Bedarf in Schulen. Doch es gibt einige Lösungsansätze, die ich bereits vor Jahren (seit 2018) entwickelt und/oder vorgeschlagen habe: Der Einsatz von freiberuflichen Experten sowie außerschulischen Projektanbietern in Schulen würde sehr helfen, sowie das Einstellen von Quer- und Seiteneinsteigern und Nicht-Lehrkräften als Mitarbeiter in multiprofessionellen Teams. Außerdem halte ich es für zielführend, 4plus1-Projekttage einzuführen und dafür die Lehrpläne um 20% zu entschlacken. 

Redaktion: Mögen Sie noch mehr zu diesen Ansätzen erzählen? 

Braun-Speck: Ja gerne. Da über Quer- und Seiteneinsteiger viel gesprochen wird, lasse ich das im Großen und Ganzen weg, möchte der Diskussion aber noch hinzufügen, dass beispielsweise Personen, die durch Künstliche Intelligenz über kurz oder lang ihren Job verlieren werden, im Schulsystem eingesetzt werden können. Beispielsweise wären Journalisten, absolut fit in der deutschen Sprache, fachlich fähig Deutsch zu unterrichten. Pädagogisch könnten sie weitergebildet werden. Außerdem wären Webdesigner fähig, Medienkompetenzen zu vermitteln und ein Stück weit Informatik zu lehren. Aber auch Ingenieure könnten Mathe und Physik lehren, z.B. wenn sie als 50plus-jährige in großen Unternehmen „abgesägt“ wurden. 

Redaktion: Das klingt absolut logisch. Vor allem haben viele davon studiert – was ja in der Regel eine Voraussetzung dafür ist, dass sie Quer- oder Seiteneinsteiger*2 werden dürfen. 

Braun-Speck: Ich selbst sehe praktisches Wissen als wichtiger an als theoretisches. Von daher bin ich dafür, die Voraussetzung eines Studienabschlusses zu streichen. 


Platz für etwas Neues: 4plus1-Projekttage und ein Abspecken der Lehrpläne

Redaktion: Okay … Und was sind die 4plus1-Projekttage? 

Braun-Speck: Beim 4plus1 Konzept wird einer von 5 Wochentagen zum regelmäßigen Projekttag, an dem externe Experten (Freiberufler, Projektpartner wie z.B. gemeinnützige Institutionen) die Schüler:innen in Zukunftskompetenzen bilden –in der Rolle von Lernbegleiter. Beispiele dazu befinden sich in unserem Community-Buch „Nachhaltige Bildung. Nachhaltige Schule“– siehe Vereins-Website. Dafür oder auch ähnliche Varianten müssen die Lehrpläne um 10-20% abgespeckt werden, um den notwendigen Raum und Zeit zu schaffen. Ich denke, wir wissen alle, dass es viel Lernstoff gibt, den die Schüler:innen in ihrem späteren Leben nicht brauchen. Dieser soll Platz machen für neue 20%, und zwar für Zukunftskompetenzen, wie u.a. digitale Bildung und BNE. 

Redaktion: Haben Sie von Ihren Ideen bereits öffentlich gesprochen? 

Braun-Speck: Ja, natürlich. Einerseits stehen diese Ideen in meinen Büchern. Außerdem habe ich mit anderen Engagierten (Workshop-Teilnehmern, Eltern, Mit-Autoren/-innen, etc.), sowie Menschen vom IQSH sowie Bildungsministerium dazu ausgetauscht – im persönlichen, direkten Austausch und/oder E-Mail. Auch mit Frau Prien sowie den Landtagsabgeordneten Martin Balasus (CDU) sowie Martin Habersaat (SPD) – natürlich nicht zeitgleich. Außerdem war ich u.a. bei der Regionalkonferenz zur Experimentierklausel im März 2023 in Bad Schwartau dabei. Dort habe ich das 4plus1-Konzept vorgeschlagen. Mal sehen, ob das auf der Agenda zur Lösung des Lehrkräftemangels wieder auftaucht – und wer es dann einbringt. 


„Consultants for Educations“ – eine gescheiterte Bildungsinnovation?

Tatsächlich haben wir im Verein bereits versucht, ein entsprechendes Vermittlungsportal aufzubauen: CoEdu – Consultants for Education. 2021 erhielten wir dafür eine kleine Förderung vom Deutschen Kinderschutzbund, doch am Ende war es viel unbezahlte Arbeit ohne echte Umsetzungschancen. Es fehlten die finanziellen Mittel, um das Projekt nachhaltig zu entwickeln – und das Bildungssystem war damals noch nicht bereit für solche Innovationen. 

Redaktion: Ihr Fazit? 

Braun-Speck: Bildung entscheidet über die Zukunft unseres Landes. Wir brauchen finanzielle Investitionen, mutige Reformen, individuelle Förderung und externe Unterstützung in Schulen. Und vor allem: mehr Offenheit für neue Konzepte. 

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch! 


Quellen:

Erläuterungen:

*1 Minderleister: Als Minderleister (engl. underachiever) bezeichnet man Personen, die dauerhaft unterhalb ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit bleiben. Im schulischen Kontext sind damit Schüler:innen gemeint, deren schulische Leistungen deutlich hinter ihren intellektuellen Möglichkeiten zurückbleiben.

*2 Quereinsteiger und Seiteneinsteiger, Unterschied:

  • Quereinsteiger: Personen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium in einem für das Lehramt relevanten Fach, die jedoch kein Lehramtsstudium absolviert haben. Sie durchlaufen einen Vorbereitungsdienst (Referendariat) von in der Regel 18 Monaten, um die pädagogischen und didaktischen Kompetenzen zu erwerben. schleswig-holstein.de
  • Seiteneinsteiger: Personen mit einem Hochschulabschluss in einem bestimmten Fach, die direkt in den Schuldienst einsteigen, ohne ein Referendariat absolviert zu haben. Sie unterrichten und absolvieren parallel eine berufsbegleitende pädagogische Qualifizierung, um die notwendigen didaktischen Fähigkeiten zu erlangen. schleswig-holstein.de

Die genauen Regelungen können je nach Bundesland variieren.

 

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